Prominente wohnen und wohnten gerne in Sachsenhausen. Historische Berühmtheiten wie Paul Hindemith hatten dribbdebach ihre kreativsten Phasen. Aber auch zeitgenössischen Persönlichkeiten wie Marika Kilius läuft man hier über den Weg.
Matthias Altenburg (1958): Der Krimi-Macher
Sie kennen Matthias Altenburg nicht? Sollten Sie aber – oder zumindest Jan Seghers. Unter diesem Pseudonym verfasst der Schriftsteller, Journalist, Essayist und Kritiker spannende Kriminalromane. Zentrale Figur seiner 2004 begonnenen Reihe ist Robert Marthaler, ein Kommissar, der in Frankfurt mit der Hartnäckigkeit eines Kurt Wallander auf Verbrecherjagd geht. Welche Parallelen es zwischen dem Schriftsteller und seinem Protagonisten gibt, lässt sich nicht gänzlich beantworten. Altenburg und Marthaler haben jedoch beide einen starken Bezug zu Sachsenhausen. Der eine hat den Stadtteil so sehr in sein Herz geschlossen, dass er den anderen im Großen Hasenpfad wohnen und im Lesecafé frühstücken lässt. Der leidenschaftliche Radfahrer, der auch die Schauplätze seiner Bücher am liebsten mit dem Drahtesel erkundet, wurde 1958 in Fulda geboren. Nach seinem Studium der Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Göttingen, verschlug es ihn in die Mainmetropole, wo er zunächst als Lektor und Journalist war.
Max Beckmann (1884 – 1950): Kreatives Multitalent
Der wichtigste deutsche Künstler des 20. Jahrhunderts ist von ebenso großer Bedeutung wie Pablo Picasso. Die Werke des Malers, Grafikers, Bildhauers und Autors faszinieren oder erschrecken, lassen aber nie gleichgültig. Beachtliche Erfolge feierte Max Beckmann auch in seiner Frankfurter Zeit (1915 – 1933), unter anderem mit dem berühmten Gemälde der Synagoge. Der in Leipzig geborenen Künstler hatte sich nach einem durch den Ersten Weltkrieg ausgelösten Nervenzusammenbruch zu Freunden in die Schweizer Straße 3 geflüchtet. 1925 zog er mit seiner Frau in die Steinhausenstraße 7, im gleichen Jahr wurde er als Leiter einer Meisterklasse an die Städelschule berufen. Der Nationalsozialismus setzte Beckmanns Aufenthalt nicht nur Frankfurt, sondern in ganz Deutschland ein Ende: Er ging zuerst nach Berlin und Amsterdam, emigrierte anschließend in die USA und kehrte nie mehr in seine Heimat zurück. Zur Erinnerung an den bedeutendsten Vertreter des deutschen Expressionismus verleiht die Stadt Frankfurt alle drei Jahre den Max-Beckmann-Preis.
Matthias Beltz (1945 – 2002): Wortakrobat
Einer der bekanntesten deutschen Kabarettisten wurde 1945 als Sohn einer „Trümmerfrau“ und eines in Russland „verschütt gegangenen Vaters“ geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Gießen, seine Studienzeit in Marburg und Frankfurt – wo er sich auch für den Sozialistischen Deutschen Studentenbund engagierte. Das 1970 begonnene Referendariat hängte der examinierte Jurist 1971 zugunsten einer Fließbandtätigkeit bei Adam Opel an den Nagel. Matthias Beltz gehörte in den 70ern nicht nur zu den Wortführern der linken Frankfurter Szene, sondern machte während dieser Zeit auch durch erste Auftritte von sich reden. 1982 gründete er das „Vorläufige Frankfurter Fronttheater“, eine erfolgreiche linke Kabarettbühne, 1988 hob er mit Johnny Klinke und Margareta Dillinger den „Tigerpalast“ aus der Taufe. Er gastierte als Solokabarettist in zahlreichen deutschen Städten, arbeitete für Fernsehen und Hörfunk, schrieb Bücher und Essays. Matthias Beltz starb 2002 in seiner Sachsenhäuser Wohnung an einem Herzinfarkt.
Michael Groß (1964): Meister aller Klassen
Bestes Beispiel, dass die Freiherr-vom-Stein-Schule in der Schweizer Straße sowohl kluge Köpfe als auch sportliche Asse hervorbringt, ist Michael Groß. Schließlich hat er insgesamt 21 Titel bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften gewonnen und gilt damit als der zweiterfolgreichste deutsche Schwimmer überhaupt. Den Spitznamen Albatros verdankt er seiner enormen Arm-Spannweite von über 2,13 Meter und seine Körpergröße von 2,01 Meter. Kein Wunder also, dass er in den Schwimmstilen Schmetterling und Freistil ganz oben auf dem Treppchen stand. Doch nicht nur im Wasser hat Michael Groß, Jahrgang 1964, die Nase vorn: Er studierte an der Frankfurter Goethe-Universität Germanistik, Politik und Medienwissenschaften. 1994 promovierte er zum Thema „Ästhetik und Öffentlichkeit: Die Publizistik der Weimarer Klassik“. Heute ist er als Besitzer einer PR-Agentur erfolgreich.
Helga Heil (1933): Schriftstellerin mit Takt-Gefühl
Eigentlich wollte Helga Heil Sängerin werden, doch das Schicksal hatte anderes mit ihr vor: 1950 engagierten die Städtischen Bühnen die Sachsenhäuserin als Tänzerin und Choreografin für Schauspiel und Oper – und ließen sie nicht wieder weg. Beste Voraussetzungen, um 1986 eine umfangreiche Dokumentation über 40 Jahre Frankfurter Ballett zu veröffentlichen. Doch die Tochter von Charly Heil, der sich zu Lebzeiten als engagierter Präsident der Brunnen- und Kerbegesellschaft einen Namen gemacht hat, schrieb 1990 auch ein Buch über das Brunnenfest. Aus eigener Erfahrung, schließlich war sie 1961 selbst Brunnenkönigin. Es folgten diverse Kinderbücher, bis 2008 ihre spannende Autobiographie „Leben ist, was uns zustößt“ erschien.
Paul Hindemith (1895 – 1963): Der Ausnahmemusiker
Der deutsche Musiker und Komponist entstammte einer Arbeiterfamilie mit schlesischen Wurzeln. Er kam 1895 in Hanau zur Welt und ging in Frankfurt zur Schule. Paul Hindemiths künstlerisches Talent wurde früh entdeckt und gefördert. Ab 1908 studierte er am Hoch’schen Konservatorium Violine bei Adolph Rebner und Komposition bei Arnold Mendelssohn. Zwischen 1915 und 1923 war er als Konzertmeister des Opernhausorchesters Frankfurt tätig. Im alten Sachsenhausen fühlte er sich besonders wohl: Zwischen 1923 und 1927 lebte und arbeitete er im Kuhhirtenturm, der heute eine Gedenkstätte ist. Hindemiths beispielhafte Karriere wurde erst durch die Nationalsozialisten beeinträchtigt. 1938 emigrierte er in die Schweiz, 1940 übersiedelte er in die USA. Obwohl er die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt und an der Yale University unterrichtete, kehrte er 1953 in die Schweiz zurück. Der nach mehreren Konzertreisen plötzlich erkrankte Musiker starb 1963 im Frankfurter Marienkrankenhaus.
Rainer Holbe (1940): Übersinnlicher Moderator
„Der Kreis hat sich geschlossen“: Das dachte sich Rainer Holbe, als er 2003 nach Frankfurt zurückkehrte. Denn der Journalist, Radio- und Fernsehmoderator, 1940 im böhmischen Komotau geboren, war als Kind mit seinen Eltern aus dem Sudetenland vertrieben worden und in Sachsenhausen gelandet. Heute ist er wieder dribbdebach zu Hause, nachdem er von 1974 bis 2003 in Luxemburg lebte. Mittlerweile hat er Fernsehgeschichte geschrieben: Von 1967 an moderierte er zwölf Jahre lang die beliebte ZDF-Sendung „Starparade“. Auch in Talk-Shows, im Frühstücksfernsehen, in der RTL-Reihe „Unglaubliche Geschichten“ und der SAT.1-Sendung „Phantastische Phänomene“ bewies er sein Können als Moderator. In den Serien der Privatsender suchte er für scheinbar paranormale Vorgänge nach naturwissenschaftlichen Erklärungen. Inzwischen hat er sich zudem einen Namen als Autor gemacht, etwa mit dem Buch „Verborgene Wirklichkeiten. Rätselhaften Phänomenen auf der Spur“.
Marika Kilius (1943): Eisprinzessin
Als eine der bedeutendsten deutschen Eiskunstläuferinnen ist Marika Kilius mehr als einmal um die ganze Welt gereist. Doch die gebürtige Frankfurterin zieht es immer wieder nach Sachsenhausen, wo sie heute auch lebt. Nachdem sie zunächst als Einzelläuferin ihre Karriere begonnen hatte, wechselte sie bald zum Paarlauf. Mit Franz Ningel, ihrem ersten Partner, wurde sie 1956 Vierte bei Olympia und 1957 Vizeweltmeisterin. Dann startete sie mit Hans-Jürgen Bäumler durch, gemeinsam wurden sie zwischen 1958 und 1964 sechsmal Europameister, zweimal Weltmeister und holten zweimal Silber bei Olympia. Zwar steht sie noch heute gerne auf den Kufen und saß 2006 mit Hans-Jürgen Bäumler in der Jury der RTL-Show „Dancing on ice“. Marika Kilius, selbst Mutter und Oma, will aber auch dafür sorgen, dass ältere Frauen und Männer gepflegt und gut aussehen können: Zu diesem Zweck hat sie 2008 eine eigene Kosmetik-Serie auf den Markt gebracht – und ist dabei selbst ihr bestes Aushängeschild.
Bodo Kirchhoff (1948): Roman-Held
Ganz und gar unhessisch ist eigentlich Bodo Kirchhoff. Denn der in Hamburg geborene Schriftsteller ist Sohn einer Wienerin, der Vater stammt aus Hannover. Erst mit Anfang 20, als er bereits erste Schreiberfahrungen bei seiner Schülerzeitung gesammelt hatte, zog es ihn nach Frankfurt, denn: „Kafka, Camus, Moravia; Frisch, Brecht, Johnson – eine regenbogenfarbene, preiswerte Edition kam damals auf den Markt, ihr Name wurde für mich zum Synonym für Literatur, mein Mekka hieß Frankfurt." Also pilgerte Kirchhoff an den Main, studierte Pädagogik. Noch während der Promotionszeit erhielt er den ersten Vertrag mit dem Suhrkamp Verlag – die schriftstellerische Karriere begann. Inzwischen hat der mit Preisen ausgezeichnete Autor, dessen Schreibtisch in Sachsenhausen steht, zahlreiche Erzählungen und Romane verfasst. In denen setzt er durchaus so mancher Ecke dribbdebachs ein literarisches Denkmal: So ist dort unter anderem vom Schweizer Platz, der Morgensternstraße, dem Eiscafé Milano und den Uferanlagen rund ums Filmmuseum zu lesen.
Georg Krämer (1906–1969): Der Brunnendoktor
Der eingefleischte Sachsenhäuser hat Geschichte geschrieben: Denn in den 60er Jahren schuf der Bildhauer jährlich zum hiesigen Brunnenfest einen neuen Brunnen oder restaurierte zumindest einen. So ist ihm zum Beispiel der legendäre Frau-Rauscher-Brunnen in der Klappergasse zu verdanken. Aber auch der Artischocken-Brunnen in der Willemerstraße, der Bäckerbrunnen in der Großen Rittergasse und der Paradiesbrunnen auf dem Paradiesplatz gehen auf sein Konto. Georg Krämer wurde auf dem Südfriedhof beerdigt.
Helmut Walcha (1907 – 1991): Zieht alle Register
Wenn Helmut Walcha die Orgel der Dreikönigskirche spielte, verharrten seine Zuhörer nicht selten in atemloser Bewunderung. Der gebürtige Leipziger, der Ende der 20er Jahre nach Frankfurt kam, war schließlich einer der bedeutendsten Bachinterpreten seiner Zeit. Im Alter von 14 bestand er die Aufnahmeprüfung am Konservatorium seiner Heimatstadt. Mit kaum 20 war er Stellvertreter seines berühmten Lehrers Georg Ramin. Der infolge einer frühkindlichen Pockenimpfung allmählich erblindete Künstler war von 1926 bis 1929 Organist der Frankfurter Friedenskirche, unterrichte ab 1933 am Hoch’schen Konservatorium und erhielt 1938 eine Professur an der Frankfurter Musikhochschule. Während seiner Jahre als Organist der Dreikönigskirche (1946 – 1981) spielte Helmut Walcha zwei Gesamtaufnahmen von Bachs Orgelwerk ein. Außerdem verfasste er eigene Choralvorspiele sowie zahlreiche Schriften und Aufsätze. Der Ausnahmemusiker starb 1991 und wurde auf dem Sachsenhäuser Friedhof beigesetzt.
Texte: Andrea Möller und Andreas Flender in
"Sachsenhausen - die schönsten Streifzüge durch Frankfurt"Societäts-Verlag 2011, ISBN 978-3-7973-1250-1